Trotz einer Erholung von den Folgen der Corona-Pandemie, in der sich der Passagierluftverkehr in Deutschland in den vergangenen Monaten weiter erholt hat, gibt es es eine alarmierende Entwicklung im Luftverkehr. Rekordhohe Standortkosten lassen Deutschland im EU-Vergleich weiter zurückfallen. Insgesamt 97 Millionen Passagiere stiegen im ersten Halbjahr 2024 an einem deutschen Flughafen ein oder aus. Das waren zehn Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Das Sitzplatzangebot erreichte 83 Prozent im Vergleich zum Vor-Corona-Niveau des Jahres 2019. Ähnlich hat sich der Travel-Retail-Markt entwickelt, zu dem unter anderem die Duty-Free-Shops an den Flughäfen zählen: Im Zuge der steigenden Passagierzahlen hat sich das Geschäft weiter erholt.
Fluggesellschaften machen Bogen um deutsche Airports
Damit findet Deutschland jedoch weiterhin keinen Anschluss an die allgemeine Entwicklung des europäischen Luftverkehrs. Gemessen am Sitzplatzangebot erreichte der Luftverkehr im 1. Halbjahr in den europäischen Ländern ohne Deutschland bereits 102 Prozent des Vor-Corona-Niveaus. Als wesentlichen Grund für diese Entwicklung machte BDL-Präsident Jens Bischof die im europäischen Vergleich deutlich höheren staatlichen Standortkosten in Deutschland verantwortlich. Zuletzt wurde die Luftverkehrsteuer zum 1. Mai 2024 um rund 25 Prozent erhöht.
Zusammen mit den zuletzt stark gestiegenen Luftsicherheitsabgaben sowie zu einem kleineren Anteil auch den Flugsicherungsgebühren haben sich die staatlichen Gebühren in Deutschland seit 2020 an-nähernd verdoppelt: Steuern und Abgaben summieren sich bei einem typischen Mittelstreckenflug innerhalb Europas inzwischen auf ein neues Rekordhoch von rund 30 Euro pro Passagier. Bei der wirtschaftlichen Ergebnisrechnung der Fluggesellschaften spielt dieser Faktor eine entscheidende Rolle.
Besonders deutlich wird dies beim Angebot der europäischen Punkt-zu-Punkt-Airlines wie Easyjet, Ryanair und Wizz Air in Deutschland. Dieses erreichte im ersten Halbjahr 2024 lediglich 71 Prozent des Vor-Corona-Niveaus. Im europäischen Durchschnitt stieg das Sitzplatzangebot dagegen auf 112 Prozent von 2019. Einzelne Märkte lagen bereits deutlich darüber – zum Beispiel Italien (134 Prozent) und Frankreich (129 Prozent).
Damit der Luftverkehrsstandort Deutschland nicht noch weiter in der Entwicklung zurückfällt, fordert der BDL ein Belastungsmoratorium. Dies wäre ein erster Schritt, um die Konnektivität unserer Flughäfen und die Anbindung unseres Wirtschaftsstandortes zu sichern. "Momentan ist jedoch genau das Gegenteil in Sicht“, kritisierte Bischof. In Deutschland steigt 2025 der maximale Gebührensatz für die Luftsicherheitskontrolle von 10 auf 15 Euro je Passagier. Damit verschlechtert sich die Position des Luftverkehrsstandortes Deutschland gegenüber anderen europäischen Ländern erneut – mit allen Konsequenzen für die deutsche Wirtschaft. "Wer die lahmende deutsche Wirtschaft beleben will, darf die Luftfahrt in Deutschland nicht länger über die Maßen belasten“, betonte Bischof.
Wettbewerbsneutrale Überarbeitung für EU gefordert
Hinzu kommen auf europäischer Ebene zunehmende Wettbewerbsverzerrungen durch das EU-Klimaschutzpaket "Fit for 55“. Dieses sieht eine steigende Beimischung von nachhaltigen Kraftstoffen (SAF) zum fossilen Kerosin vor, beginnend mit zunächst 2 Prozent im Jahr 2025. Die Luftverkehrswirtschaft befürwortet grundsätzlich eine SAF-Quote als Klimaschutzinstrument. SAF ist jedoch bislang sehr knapp und drei bis fünf Mal teurer als herkömmlicher Kraftstoff. Diese Kostendifferenz führt auf Langstreckenflügen insbesondere von Europa nach Afrika und Asien zu erheblichen Wettbewerbsnachteilen für die europäischen Carrier. Sie müssen das teurere SAF für die gesamte Strecke tanken. Dagegen brauchen Airlines mit Umsteige-Drehkreuz außerhalb der EU wie etwa in Dubai, Katar oder Istanbul, SAF nur für das erste, weitaus kürzere Teilstück von einem EU-Flughafen bis zu ihrem Hub am Persischen Golf oder in der Türkei beimischen. Dies bedeutet einen jährlich steigenden erheblichen Kostenvorteil für diese Airlines – und aufgrund von Carbon Leakage keine Fortschritte beim Klimaschutz. Emissionen werden lediglich verlagert statt verringert.
Eine langfristige Analyse der Passagierströme von Deutschland nach Asien durch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) zeigt, dass schon heute immer mehr Reisende an Drehkreuzen außerhalb der EU umsteigen – vor allem am Persischen Golf und in der Türkei. Von 2010 bis 2024 ist der Anteil der Umsteiger an Nicht-EU-Drehkreuzen bereits von 38 auf 57 Prozent gestiegen. Im Gegenzug sank der Anteil des Nonstop-Verkehrs nach Asien und der Umsteigeverbindungen über europäische Hubs von 62 auf 42 Prozent.
Luftfracht-Geschäft stabilisiert sich nach Corona-Sonderkonjunktur
Nachdem die Ladungsmengen in der Luftfracht im Jahr 2023 nach dem Ausklingen der Corona-Sonderkonjunktur gesunken waren, hat sich das Geschäft in der ersten Jahreshälfte 2024 stabilisiert. An den deutschen Flughäfen wurden insgesamt 2,4 Millionen Tonnen Luftfracht ein- oder ausgeladen. Das ist nur 1 Prozent weniger als 2019. Im Vorjahreszeitraum waren es noch 3 Prozent weniger als vor der Pandemie. Dabei hat der Flughafen Frankfurt seine Spitzenposition unter den europäischen Luftfrachtstandorten vor London-Heathrow und Amsterdam erneut verteidigt.
Rückstand zu europäischen Nachbarländern nimmt zu
Im Ende Oktober beginnenden Winterflugplan 2024/25 erreicht der Luftverkehr in Deutschland nach einer aktuellen Prognose des BDL ein Niveau von 85 Prozent im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit im Winter 2018/19. Damit vergrößert sich der Abstand zwischen Deutschland und den übrigen europäischen Ländern (109 Prozent von 2018/19) sogar noch weiter auf voraussichtlich 24 Prozentpunkte. Einzig der Interkontinentalverkehr von und nach Deutschland erreicht voraussichtlich wieder das Vor-Corona-Niveau. Schwächer verläuft dagegen die Entwicklung bei den europäischen Zielen. Mit einem Zuwachs von 5 Prozentpunkten wird eine Recovery-Rate von 89 Prozent erreicht. Die Entwicklung bei den innerdeutschen Verbindungen bleibt weiterhin hinter den anderen Destinationen zurück. Die Verbindungen zu den beiden Hubs Frankfurt und München nehmen um drei Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr zu (63 Prozent Recovery), auf dezentralen Strecken abseits dieser Flughäfen nur um einen Prozentpunkt (21 Prozent).